español: Rompiendo las olas / Contra viento y marea
deutsch: Breaking the Waves
english: Breaking the Waves
date: Jan 16, 2007
DK / SWE / FRA / NL / NOR / Iceland 1996
dirigida por Lars von Trier
vista en inglés con subtitulos en español

In einem der etwa zehn ernsthaften Filmbücher, die ich besitze, stellt Achim Forst klar, dass man Lars von Trier bloss nicht mehr fragen soll, worauf der Film basiert. Es sei verraten: das Märchen Goldherz und Filme von Carl Theodor Dreyer, insbesondere Gertrud.

Goldherz liegt nach einer von Forsts Fußnoten (ich habe das Märchen im Netz nicht gefunden, allenfalls etwas schmockiges wie das) in der Tradition irgendwo zwischen Sterntaler und Hans im Glück. Es ist die Geschichte eines Mädchens, das so gut ist, dass es sich ausnutzen und betrügen lässt, und dabei ihren guten Mut und ihren Glauben nicht verliert, auch wenn es am Ende selbst ihres elementarsten Schutzes beraubt ist. Lars von Triers offenbar sehr skandinavisch-bürgerliche Familie , insbesondere sein Vater (EDIT: Die englische Wikipedia gibt an, es sei eine nudistisch-kommunistische Kommune gewesen, und der Vater sein Stiefvater), fanden das Märchen höchst reaktionär und unaufgeklärt. Der kleine Lars hingegen wurde von dem Irrationalen und Unsinnigen sehr angezogen.

Er machte eine Dogma-Trilogie über ähnlich naiv-unglaubliche Gestalten, zu denen neben Breaking the Waves auch noch „Die Idioten“ (1998) und „Dancer in the Dark“ (2000, mit Björk) gehören.

Gertrud, eine Figur des dänischen Regisseurs Dreyer, ist nicht unbedingt naiv. Aber auch sie ist sehr emotional und innerlich wenig an rationale Normen gebunden. Nach Forst ist sie eine der zahlreichen Figuren Dreyers, die zwischen institutionellem Glauben und persönlicher Frömmigkeit hin und hergerissen sind.

Und hier kommen wir zu Bess, die in einem urpuritanischen schottischen Dorf lebt, in dem die Kirche nicht nur sehr karg, sondern auch sichtbar ohne Glocken ausgestattet ist. Der Pfarrer ist sehr autoritär und Bess sehr ergeben im Dienst für die Gemeinde, mit der sie erst in Konflikt gerät, als sie sich in einen Ölarbeiter (Jan), das vor Schottland auf einer Plattform arbeitet, verliebt, und ihn heiratet. Als sein Urlaub nach der Hochzeit zuende geht, betet Bess, er möge doch zurückkehren. Als dies wirklich geschieht, ist sie jedoch alles andere als froh: Er wird beim Perforieren von einer Eisenstange am Kopf getroffen und ist gelähmt und zusehens von Medikamenten und Depressionen psychisch zerrüttet. Da Bess denkt, dass sie ihn durch ihr Gebet in diesen Zustand gebracht hat, und ist bereit alles zu tun, was Jan wieder gut machen könnte.

Jan glaubt, Bess zu helfen, indem er sie bittet, sich einen Liebhaber zu suchen. Andererseits scheint er selbst zu hoffen, durch Bess' Erzählungen über sexuelle Eskapaden über seine Frustration durch die Lähmung hinwegzukommen und weiterleben zu können. Zumindest stellt er es Bess gegenüber so dar. Bess glaubt also, durch Sex mit anderen Männern sich für ihre große Liebe opfern und die Folgen ihres „törichten Wunsches“ rückgängig zu machen. Sie versucht verzweifelt, Jans Arzt zu verführen, was aber misslingt. Als Jans Zustand sich verschlechtert, versucht sie sich zunächst an einem älteren Mann in einem Bus und lässt sich schließlich zu einem Schiff bringen, dass nicht einmal die Prostituierten des nahegelegenen Hafens bedienen. Dort wird sie sadistisch mißhandelt (vom Bösen persönlich in Gestalt von Udo Kier) - und anschließend aus der Kirchengemeinde ausgeschlossen. Dennoch kehrt sie ein zweites Mal auf das Schiff zurück, als Jans Zustand sich nochmals verschlechtert. Anschließend können die Ärzte sie nicht mehr retten, doch Jan überlebt und kann sogar auf Krücken wieder gehen. Er entführt ihren Leichnam, dem er so die Verfluchungen auf der Beerdigung außerhalb des Friedhofs erspart, und bestattet sie auf See. Im Himmel läuten die Glocken für sie.



Obwohl der Film 1996 die Goldene Palme in Cannes gewonnen hat - sicher insbesondere aufgrund seiner gerade wegen der Handkamera (Robby Müller) sehr dynamischen visuellen Präsentation, kann man den Film mit guten Gründen als reaktionären Quatsch abtun, insbesondere wie die Psychose, die Bess offenbar entwickelt, nicht als Krankheit angesehen wird (als die Bess' Schwägerin und Jans Arzt sie behandeln wollen - wo sich Bess aber widersetzt), sondern als Märtyrertum, das von höhren Mächten geachtet und belohnt wird. Man kann aber auch der feinen Besprechung von Ulrich Behrens aus Freiburg folgen, die u.a. zu folgenden Schlüssen kommt:

Bess' „abnormes“ Verhalten ist in Wirklichkeit bedingungslose Liebe, die Hindernisse hingegen (christlicher Fundamentalismus und Psychatrie) zivilisatorische Ablenkungen, die von der „Wahrheit“ wegführen und Bess und ihre Liebe in ein Gerüst von Rationalität, Konventionen und „Nützlichkeit“ zwängen wollen. In diesem Sinne ist die Protagonistin eine Rebellin, da sie in ihrer Naivität nicht verdorben (in keinem Sinne), sondern kindlich und frei ist - das Leid, dass ihr widerfährt, sind dabei Hindernisse, aber nicht der eigentliche Inhalt des Films. Das Ende des Films gibt Bess und ihrer Liebe, die jenseits und über allem irdischen steht und sich sozialen Zwängen verweigert, Recht damit, nicht in irdischen Normen verharrt zu haben.

Gleichzeitig stellt der Film aber - insbesondere in den Zwischentiteln - klar, dass er ein fiktionales Werk ist, nicht Wirklichkeit - wie sie durch den Handkameraeinsatz und Emily Watsons darstellerische Leistung ansonsten angenommen wird. Gerade das Ende ist in seiner überirdischen Konsequenz doch sehr überzeichnet. Ich jedenfalls konnte da nicht glauben, dass der Regisseur es wirklich so ernst meint, wie der Film die ganze Zeit tut. Man mag über die Botschaft streiten...